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Nordsee, Frühjahr 1611
Karg
war die Insel und flach. Es gab keine Klippen, keine Steilküste,
und statt Bergen nur Hügel und Dünen. Die Gräser sahen
selbst im Frühjahr eher gelblich als grün aus, und die Kiefernwälder
waren kümmerlich, was vor allem am Kahlschlag lag. Denn die Insel
war besiedelt. An einem Ende gab es ein Dorf, in dem Bauern und Fischer
wohnten, kaum mehr als hundert Häuser und Hütten, umgeben
von Feldern, auf denen die frische Saat zu sprießen begann. Und
am anderen Ende der Insel, ein paar Meilen über Land, stand ein
zweites Dorf, das nur wenig größer war, obwohl hier viel
mehr Menschen lebten. Aus Lehm oder gar Stein gebaute Häuser waren
hier nicht zu entdecken, nur mehr oder minder roh gezimmerte hölzerne
Bauten, zumeist aus dem wenig bearbeiteten Holz der Kiefern, aber auch
mit den Brettern und Balken ausgeschlachteter Schiffe errichtet. Das
war der Schlupfwinkel der Nordseepiraten. Von den Bauern und Fischern
wurden sie, nachdem die Oberen beider Seiten einen Vertrag abgeschlossen
hatten, anfangs zähneknirschend geduldet, und selbst das Knirschen
besorgten die Dörfler angesichts der bewaffneten Übermacht
nur sehr leise. Mittlerweile, nach zwei Jahren, hatten sie das Knirschen
eingestellt, denn zwischen beiden Dörfern blühte ein reger
Tauschhandel, sehr zum gegenseitigen Vorteil. So hatten die Bauern denn
anfangs aus Angst und Vertragstreue, später aus Bedachtsamkeit
für den eigenen Nutzen strenges Stillschweigen über die andere
Ansiedlung bewahrt. Die Gefahr zufälliger Entdeckung des Piratennestes
war gering. Zwar gab es keine Möglichkeit, die acht Schiffe in
der Bucht durch Klippen, Hügel oder Bauten zu tarnen, doch lag
diese Bucht auf der meerabgewandten Seite der Insel, und dort entlang
führte keine der üblichen Schiffahrtsrouten. So mußte
sich ein Segler schon verfahren haben, um den Schlupfwinkel der Piraten
von See aus zufällig entdecken zu können, und das war in den
vergangenen zwei Jahren noch nicht vorgekommen. Über das Land hinweg
waren die Schiffe denn doch nicht zu entdecken, so breit und hüglig
war die Insel immerhin.
Am frühen Morgen wirkte das Dorf wie ausgestorben. Auf Wachen hatten
die Piraten verzichtet; sie fühlten sich hier sicher. Mit der friesischen
Dorfgemeinschaft lebten sie in Frieden, andere Menschen waren nicht
auf der Insel, und gegen eine Invasion von See her waren sie gerüstet,
denn auf den Schiffen war eine Restmannschaft verblieben, und mindestens
einer davon war auf jedem der Segler auch zu dieser frühen Stunde
auf Posten. So rührte sich auch nach dem ersten Hahnenschrei niemand.
Es gab keinen Grund, jetzt schon aufzustehen. Die meisten hörten
das Krähen nicht einmal, obwohl es sehr laut und durchdringend
war und ganz aus der Nähe kam. Denn sie hatten ein eigenes Gehege
für mehrere hundert Hühner, und es gab auch, wie auf der anderen
Seite der Insel, Getreidefelder. Dies war ein ganz normales Dorf, abgesehen
davon, daß seine Bewohner nur gelegentlich auch Bauern und Fischer
waren.
Der Hahn war schon heiser, als sich die ersten Männer vor den Häusern
zeigten. Müde tappten sie an die Hinterwände ihrer Häuser
und verrichteten ihr Geschäft. Dann taumelten sie schlaftrunken
auf den unbefestigten Wegen wieder in ihre Häuser zurück.
Es verging noch eine Viertelstunde, ehe das Dorf tatsächlich erwacht
war. Auch da bemerkte man noch wenig vom Leben und Treiben, denn das
Morgenmahl wurde in den Häusern zubereitet und verzehrt. Erst danach
begannen die Arbeiten im Freien, die sich kaum von denen auf der anderen
Seite der Insel unterschieden. Einige Männer widmeten sich der
Landwirtschaft, andere fuhren in Ruderbooten zum Fischen hinaus, wieder
andere befaßten sich mit Zimmermannsarbeiten, die angesichts des
dürftigen Zustands vieler Häuser und der Notwendigkeit, weitere
Bauten zu errichten, besonders dringlich waren. Der einzige Unterschied
zum Dorf am anderen Ende der Insel war, daß keine Frauen zu sehen
waren. Dies war eine Männergemeinschaft. Auf knapp achthundert
Männer kamen nur fünf Frauen, von denen zwei außer für
ihre Bewacher unsichtbar waren, während die anderen drei als Huren
vor allem an Abenden sehr wohl für alle sichtbar waren, die sie
sehen wollten.
Die friedliche Dorfidylle änderte sich, als einer der Männer
aufgeregt die am stabilsten Haus angebrachte Glocke läutete und
laut schrie. Zunächst verstand ihn niemand. Nicht, weil er so undeutlich
gesprochen hätte, er brüllte nur ein Wort, und das war eigentlich
ganz klar, aber unglaublich. »Mord!« schrie er. »Mord!«
Und er läutete Sturm.
Wer in der Nähe war, ließ seine Arbeit ruhen und eilte herbei.
Aus dem soliden Holzhaus, an dem sich die Glocke befand, trat ein Mann
heraus. Er war etwa vierzig Jahre alt, seine dunkelbraunen Augen blickten
auf eine so wilde wie melancholische Art aus dem scharf geschnittenen,
vollbärtigen Gesicht. Er trug ein Hemd aus knallblauer Seide, darüber
eine Weste aus dunklem Leder, eine pludrige braune Kniehose aus flämischem
Tuch, ein paar kräftige schwarze Lederstiefel. Um den Bauch hatte
er einen breiten schwarzen Ledergürtel geschnallt, an dem das Gehänge
für seinen Degen befestigt war. Ohne Waffe ging er nicht ins Freie,
das war er seinen Rang schuldig. Sein Name war Paul Claen. Er war einer
der Kapitäne und galt als das Oberhaupt dieser kleinen Gemeinschaft,
denn er hatte die Niederlassung gegründet und die anderen Piraten
bei sich aufgenommen.
Bei seinem Erscheinen trat Ruhe ein. Der nervöse Pirat stellte
das Läuten ein, und auch die anderen verharrten schweigend. Ein
paar Nachzügler kamen noch herbeigelaufen, doch deren Eintreffen
wartete Claen nicht ab.
»Was ist geschehen?« fragte er mit seiner so kräftigen
wie tiefen Stimme.
»Einem Mord!« brüllte der Pirat. Obwohl er schrie,
war er nicht so laut wie Kapitän Claen. »Captain Bird! He
is dead! Ermordet! In seiner Hutte!” Er sprach das deutsche Platt
mit starkem Akzent, war aber gut zu verstehen. Die Piraten waren ein
Vielvölkergemisch. Vier der Schiffe kamen aus deutschen Landen,
aber es gab auch eine spanische Besatzung, eine niederländische,
einen portugiesische und eine englische. Die allgemeine Verständigungssprache
war deutsch, und viele der Ausländer hatten sie über den langen
Winter gelernt. So verstand jeder der Anwesenden, was der Engländer
gesagt hatte. Sein Kapitän war über Nacht ermordet worden.
Aufgeregtes Stimmengewirr erhob sich. Claen sorgte für Ruhe. »Sehen
wir erst einmal nach«, sagte er. »Nicht alle! Das wird zu
viel. Wo ist Valten?«
»Hier«, sagte ein junger Mann und drängelte sich durch
die Reihen.
»Du kommst mit. Vielleicht ist ja noch etwas zu machen.«
Valten Went nickte. Er war ein hochgewachsener, schlanker Mann mit von
Natur aus sehr ernstem Gesicht. Sein dunkelbraunes Haar wallte in langen
Locken herunter. Der Bart war sorgfältig gestutzt. Mit seiner sehr
bürgerlichen, gut gepflegten Kleidung stach er von dem verwilderten
Haufen ab. Und er war auch nicht eigentlich ein Pirat. Valten Went war
der Wundarzt von Kapitän Claen. Viele Piratenschiffe hatten Ärzte
oder Heilkundige an Bord; zu oft wurden deren Dienste nach Gefechten
benötigt. Valten Went hatte die Heilkunde studiert, war aber zu
unbemittelt, eine Niederlassung in seiner Heimatstadt Lübeck zu
gründen. So hatte er sich bei einer Handelsgesellschaft verdingt
und war bereit gewesen, mit einem Lübecker Schiff in See zu stechen.
An Bord hatte er schnell bemerkt, daß er durch seinen Vertrag
fast zu einer Art Sklaven der Handelsgesellschaft geworden war. Die
Gesellschaft durfte alles, er durfte nichts. In der Nordsee war das
Schiff von Piraten überfallen worden. Viele Männer starben
beim Kampf. Valten geriet nicht in Gefahr, denn wenn er auch Lohnsklave
der Gesellschaft war, daß er kämpfte, erwartete niemand von
ihm.
Des zähen Widerstands wegen war Kapitän Claen aufgebracht
und ließ einen großen Teil derer, die den Kampf überlebt
hatten, über die Planke gehen. Auch Valten wäre wohl gestorben,
hätte er nicht gebrüllt, er sei Arzt. Das interessierte Claen,
und so stellte er ihm die Frage: Was tut Ihr, wenn ich Euch das Leben
schenke? – Ich diene Euch, hatte Valten erwidert. So war er zu
den Piraten gekommen. Jetzt war er schon drei Jahre dabei, und er bereute
es nicht. Die Kämpfe und das häufig darauf folgende blutige
Gemetzel verabscheute er zwar, doch er mußte ja nicht daran teilnehmen.
Nur mit den Folgen hatte er sich zu beschäftigen. Arbeit gab es
reichlich, aber der Lohn war nicht schlecht. Die Beute, sofern sie nicht
aus Naturalien bestand, wurde aufgeteilt. Jeder Matrose erhielt einen
einfachen Anteil, der Steuermann erhielt zwei Anteile, der Kapitän
vier. Ein Wundarzt war dem Steuermann gleichgestellt. Noch drei oder
vier Jahre, und Valten hatte ausgesorgt und konnte, sofern er die Rückkehr
ins bürgerliche Leben schaffen würde, in Lübeck seine
Praxis eröffnen.
Der Engländer, Kapitän Claen und Valten Went betraten das
Häuschen, in dem der englische Kapitän wohnte, wenn er an
Land war. Der Haufen der anderen blieb vor der Tür zurück.
Hinter dem Eingang lag gleich das größere der beiden Zimmer,
der Wohnraum, karg ausgestattet mit einem Tisch, zwei Stühlen und
einer großen Anzahl von Truhen. Es gab auch eine Kochstelle und
ein wenig Geschirr. Ein Mensch befand sich nicht im Raum.
Der englische Matrose führte die beiden in den kleinen Schlafraum.
Beim Schlafen legte Kapitän Bird Wert auf Bequemlichkeit. Es gab
ein großes und offenkundig weiches, bequemes Bett, erbeutet in
der Kapitänskajüte eines überfallenen Schiffes. Die dicke
Decke war zurückgeschlagen. Kapitän Bird lag auf dem Rücken.
Seine Augen standen offen, doch er sah nichts mehr. In seiner Brust,
genau in der Gegend, wo sein Herz zu vermuten war, gab es einen Einstich.
Blut war aus der Wunde getreten, hatte das weiße Wollhemd durchtränkt,
aber der Fleck war nicht groß.
Claen nickte seinem Wundarzt zu, und der trat an das Bett heran und
untersuchte den englischen Kapitän. Da gab es nichts mehr, was
er tun konnte.
»Ein Messerstich«, sagte er. »Bird war sofort tot,
wie man daran sieht, daß so wenig Blut ausgetreten ist. Eindeutig
Mord. Falls er geruht hat, war keine Gegenwehr möglich, und falls
er geschlafen hat, sowieso nicht. Ich denke, er ist im Schlaf gestorben.
Die Augen stehen offen, weil er im Moment des Stichs erwacht ist, aber
ich denke, er hat seinen Mörder nicht mehr gesehen, und falls doch,
kann er uns nicht mehr sagen, wer es war. Die Haut ist kalt, die Glieder
sind steif. Ich denke, er ist schon ein paar Stunden tot. Vielleicht
seit Mitternacht, aber das ist eine sehr ungenaue Schätzung. Es
gibt keine Spuren eines Kampfes. Ob etwas gestohlen würde, müssen
wir feststellen, vielleicht weiß ja jemand von seiner Besatzung,
was für Schätze er hier gehortet hat. Aber auf den ersten
Blick wurde nichts durchwühlt, die Truhen waren alle verschlossen,
soweit ich eben gesehen habe. Mehr kann ich nicht sagen.«
»Das war ja schon eine ganze Menge«, sagte Claen. »Jetzt
ist es an mir, etwas zu sagen. Einer von uns ist ermordet worden. Das
muß aufgeklärt werden. Ich bin nicht willens, das so einfach
hinzunehmen.«
»Wer soll das aufklären?« fragte Valten. »Wir
haben hier weder Büttel noch Constabler, es gibt keine Gerichte.«
»Ein Gericht können wir selber bilden«, sagte Claen.
»Aber erst einmal müssen wir den Täter finden. Ich rufe
den Kapitänsrat zusammen, vielleicht fällt uns ja etwas ein.«
Der englische Matrose wurde angewiesen, im Haus Wache zu halten, bis
über das weitere Vorgehen entschieden war. Dann begaben sich Claen
und Valten Went zurück ins Freie und liefen zurück zum Haus
von Claen. Der Kapitän läutete selber die Glocke, nicht so
wild, wie zuvor der erregte Engländer, sondern nach einem bestimmten
System. Zwei Schläge, eine Pause, drei Schläge, eine Pause,
vier Schläge. Das war das Signal für die anderen Kapitäne,
sich zur Beratung einzufinden. Es würde einige Zeit vergehen, denn
drei davon übernachteten an Bord ihrer Schiffe. Für sie gab
es noch keine standesgemäßen Häuser an Land, sie waren
erst im vergangenen Herbst zur Gemeinschaft gestoßen. Fünf
hingegen übernachteten an Land. Seltsamerweise waren nur zwei von
ihnen auf den Alarmruf hin hinausgetreten, der dritte, der niederländische
Kapitän, fehlte.
»Sieh mal nach, was mit Jacobszoon ist«, forderte Claen
seinen Wundarzt auf. »Der war wohl gestern betrunken, daß
er so überhaupt nicht aufwacht.«
Diese Sorte von Aufträgen ärgerte Valten Went. Er war doch
kein Matrose, den man für Botengänge einsetzen konnte! Aber
er begehrte nicht gegen das Ansinnen seines Kapitäns auf. Claen
duldete keinen Widerspruch.
Langsam schlenderte er hinüber zum kleinen Haus des Holländers.
Er klopfte an die Tür, dann öffnete er sie. Drinnen sah es
so ähnlich aus wie bei dem Engländer, nur daß es an
den Wänden etwas mehr Zierrat gab. Der Holländer war offensichtlich
länger im Geschäft als der Engländer. Oder erfolgreicher.
Irgendwie hatte Valten es erwartet, was er zu sehen bekam. Kapitän
Jacobsen lag auf seinem Bett, die Decke war aufgeschlagen, in der Brust
gab es einen Einstich, wenig Blut war ausgetreten, die Augen standen
offen und sahen glasig aus. Der Wundarzt erschrak nicht. Er trat an
das Bett heran, untersuchte die Wunde. So groß wie die andere.
Möglicherweise dasselbe Messer, zumindest eines von gleicher Art.
Keine Spuren eines Kampfes. Auch der Holländer war im Schlaf gestorben.
Die Haut war kalt, die Totenstarre hatte bereits eingesetzt. Er ist
auch um Mitternacht gestorben, schätzte Valten.
Da niemand im Hause war, sah sich Valten etwas genauer um. Er ging in
den Wohnraum, versuchte, eine der Truhen zu öffnen. Sie war verschlossen,
das Schloß sah unbeschädigt aus. Auch zwei weitere Truhen
waren verschlossen. Die vierte hingegen ließ sich leicht öffnen.
Darin lagen sehr ordentlich seidene Gewänder und einige goldene
und silberne Becher. Wie es schien, war nichts gestohlen worden. Das
machte den Mord sehr rätselhaft. Sorgfältig schloß Valten
Went die Truhe und verließ das Haus. Er lief zurück zum Haus
von Claen und teilte dem Kapitän leise mit: »Auch ermordet.
Auf die gleiche Weise.«
Sein Kapitän glaubte ihm nicht und mußte es selber sehen.
So gingen sie denn zum Haus des Holländers, Claen betrachtete die
Bescherung, schüttelte den Kopf und kehrte versonnen zu seinem
Haus zurück.
Noch immer stand der Haufen der Piraten diskutierend beieinander. Daß
der Holländer auch tot war, hatte zwar niemand gehört, aber
aus dem Benehmen von Claen und Went ließ es sich leicht folgern.
Eine unheimliche, gedrückte Stimmung lag über dem Dorf.
Claen besann sich seiner Führungsrolle und erhob seine Stimme:
»Hört her!« rief er. »Zwei Kapitäne sind
heute nacht in ihren Betten erstochen worden. Ich verspreche euch, daß
wir den Mörder finden und grausam bestrafen werden. Im Augenblick
können wir aber nichts weiter tun. Ich werde mit den anderen Kapitänen
beraten, und ihr erfahrt alles, was zu wissen nötig ist. Bis dahin
kehrt an eure Arbeit zurück. Die muß getan werden, auch wenn
es schwer fällt. Freut euch, daß ihr alle noch lebt, und
macht etwas daraus! Einen Moment noch! Das gilt nur für die Engländer
und die Niederländer! Ihr müßt einen neuen Kapitän
aus eurer Mitte wählen. Wenn ihr euch beeilt, dann kann er noch
an unserer Beratung teilnehmen. Alle anderen: An die Arbeit!«
Obwohl seine Stimme Gewicht hatte, dauerte es doch geraume Zeit, bis
tatsächlich jeder an seine Arbeit zurückgekehrt war. Inzwischen
waren schon zwei weitere Kapitäne eingetroffen, und das Boot des
dritten war nur noch wenige Ruderschläge vom Strand entfernt.
Der niederländische Steuermann gesellte sich zu der kleinen Gruppe
um Claen und teilte mit, die Wahl sei, wie zu erwarten, auf ihn gefallen.
Von den Engländern hingegen ließ sich niemand blicken, ihnen
schien die Kapitänswahl schwerer zu fallen. So waren es denn sieben
Kapitäne, die das Haus von Claen betraten.
Im Unterschied zu den beiden toten Kapitänen, die nur gehaust hatten,
lebte er wirklich hier. Von innen sah man nicht einmal, daß es
nur eine rohe Holzhütte war. Die Wände waren mit Stoffen verkleidet,
und die Dekoration wirkte überladen mit ihren silbernen Ketten,
mit Goldbechern auf Borden, mit einigen erbeuteten Admirals- und Königsporträts,
mit sonderbaren, fremdartigen Ziergegenständen, mit den zahlreichen,
meist silberbeschlagenen Truhen, mit einem großen dunklen Schrank
und zwei kleinen, mit Silberbesteck und anderem edlen Küchengerät
bedeckten Tischchen. In der Mitte des Raumes stand ein großer,
massiver Tisch mit zehn Stühlen, nicht unähnlich dem, der
im Tagungsraum des Hamburger Stadtrates stand, nur daß Claens
Raum wesentlich reicher ausgestattet war. Dort nahmen die sieben Kapitäne
Platz. Claen saß an der Stirnseite, die anderen hatten ihre Stammplätze
zu beiden Seiten, und dem Niederländer wurde gezeigt, wohin er
sich setzen durfte.
»Wir haben eine ernste Situation«, sagte Claen. »Die
an Land waren, wissen es schon, für die anderen: Die Kapitäne
Bird und Jacobszoon wurde heute nacht in ihren Betten ermordet. Beide
starben durch einen Messerstich ins Herz, beide waren sofort tot, sagt
mein Wundarzt. Es gab keinen Kampf, und soweit wir wissen, wurde nichts
gestohlen.«
Der Spanier und der Portugiese, wiewohl der deutschen Sprache in mehr
als nur den Anfangsgründen mächtig, hatten Claen nicht richtig
verstanden, und er wiederholte in holprigem Spanisch, was er gesagt
hatte.
»Unfaßbar!« sagte Nicolaus Jarre, einer der deutschen
Kapitäne. »Wenn wir in unserem eigenen Ort unseres Lebens
nicht mehr sicher sind ...« Er brach ab.
»Wir müssen etwas unternehmen«, sagte der Holländer,
entschlossen, sich als Kapitän zu bewähren.
»Meine ich auch«, sagte Claen. »Und was?«
»Wir werden die Wahrheit durch Folter herauspressen.«
Claen lachte. »Wen willst du denn foltern, äh ...«
»Pelsaert«, stellte sich der Niederländer vor. »Die
Schuldigen! Wen sonst.«
»Gern«, sagte Claen. »Wir müssen sie nur erst
finden. Oder willst du alle unsere achthundert Leute der Reihe nach
foltern? Das würden sie sich kaum gefallen lassen, und es wäre
auch nicht gerecht.«
»Aber irgend jemand müssen wir foltern!« schrie Pelsaert.
»Ganz ruhig«, sagte Corazón, der Spanier, mit starkem
Akzent. »Ich verstehe, du sehr erregt, war dein Capitán.
Könnte auch einem anderem sein. Einem von uns. Was ist das? Revolution
gegen die Obrigkeit?«
»Das werden wir herausfinden«, versprach Claen.
»Wie denn?« fragte Mantigao, der Portugiese. »Wir
sind auf so etwas, wie heißt das, nicht vorgestellt ...«
»Eingestellt oder vorbereitet«, half Claen.
»Sim. Wir haben keine Polizei ...«
»Und gut so!« unterbrach Claen. »Die würde doch
zuerst uns festnehmen und zum Richtblock schleifen!«
»Sim, gut so«, stimmte der Portugiese zu. »Aber was
können wir tun?«
»Ich hatte auf einen Vorschlag von euch gehofft«, sagte
Claen.
»Die Wahrheit findet man nun einmal durch Foltern«, sagte
Hans Stoeff, einer der deutschen Kapitäne. Und er sah dabei sehr
finster aus. »Daß einer von uns ermordet wird, ist schon
schlimm, aber das könnte noch der Racheakt einer unzufriedenen
Mannschaft sein. Wenn aber zwei von uns sterben, dann sieht das nach
einer Verschwörung aus. Ich stimme Capitán Corazón
voll und ganz zu. Das ist eine Verschwörung gegen die Obrigkeit.
Und die ist um so unverständlicher, als es den Leuten gut geht.
Wir sind nicht so harte Herren wie die Fürsten oder die Ratsmänner
in den Städten an Land. Bei uns hat niemand etwas auszustehen.
Wir teilen alles gerecht auf. Bei uns kommt niemand zu kurz. Die Kapitäne
bekommen etwas mehr, aber das ist nur billig und bisher von allen anerkannt
worden, und soviel mehr ist es auch wieder nicht. Ich kann mir vielleicht
vorstellen, daß es an Land Verschwörungen und Rebellionen
gegen harte Fürsten gibt, aber ich kann mir nicht vorstellen, daß
es so etwas bei uns gibt. Das macht die Morde unergründlich, ja,
unheimlich. Warum sollte einer unserer Leute zwei Kapitäne abstechen
wie Schweine? Wir müssen es durch Folter aus den Verschwörern
herausholen.«
»Stoeff«, sagte Claen, »ich wiederhole mich nur ungern,
aber bei wem willst du mit dem Foltern anfangen? Wir brauchen erst einmal
eine Spur. Einen der Täter müssen wir finden, und wenn wir
ihn haben, dann können wir ihn nach Herzenslust foltern, bis er
gesteht, vom Teufel geschickt zu sein, oder wer immer ihn verleitet
hat. Das Problem ist: Wie finden wir ihn?«
»Fangen wir bei den Mannschaften der Schiffe an, deren Kapitäne
ermordet wurden«, schlug Lorenz Kunow vor, der vierte deutsche
Kapitän. »Vielleicht bei den Engländern, die sich nicht
mal über die Nachfolge einigen können. Da stimmt doch etwas
nicht!«
»Und wenn es keiner der Engländer war, sondern einer der
Niederländer?« fragte Claen. »Dann habe wir hundert
gute Leute völlig umsonst gefoltert.«
»Dann fangen wir eben bei den Niederländern an!« brummte
Kunow.
»Und wenn es keiner von denen war, sondern ein Spanier oder Portugiese?
Oder wenn es gar einer von deiner Mannschaft war? Solange wir nichts
wissen, können wir keine Aussagen erpressen, das ist nun einmal
leider so.«
Dieser Einsicht schlossen sich nach und nach auch die anderen Kapitäne
an, abgesehen von Kunow, der es vernünftig fand, erst einmal alle
Niederländer und alle Engländer zu foltern. Als er erkannte,
daß es keine Mehrheit für seinen Vorschlag gab, sah er seinen
Irrtum zwar nicht ein, aber er bestand nicht auf seinem Verfahren und
schwieg verbittert.
»Das geht also nicht«, faßte Stoeff das Ergebnis der
Diskussion zusammen. »Aber irgend etwas müssen wir doch tun!
Und ich habe keine Vorstellung, was das sein könnte.«
»Ich hätte da einen Vorschlag«, sagte Kapitän
Claen. »Vertreter des Gesetzes gibt es hier nicht, doch uns hindert
nichts daran, uns welche zu schaffen. Die Büttel und Constabler
in den Städten sind meist ziemlich dumme Leute. Nichts hindert
uns daran, einen Gesetzesvertreter auszusuchen, der schlau ist. Ich
habe vorhin meinen Wundarzt dabei beobachtet, wie er die beiden Toten
untersucht hat und wie er ganz ruhig erste Folgerungen gezogen hat,
und ich weiß aus den drei Jahren, die er jetzt bei mir ist, daß
er sehr klug ist und viel gebildeter als die meisten von uns. Ich schlage
vor, daß wir ihn zu unserem Constabler machen, oder wie immer
wir das nennen wollen. Wir lassen ihn nachforschen, und wir geben dies
unseren Mannschaften bekannt. Jeder ist verpflichtet, ihm umfassend
Auskunft zu erteilen. Vielleicht findet er ja durch schlaues Fragen
und Herumsuchen heraus, bei wem wir mit dem Foltern beginnen können.«
»Valten Went?« fragte Stoeff. »Keine schlechte Wahl,
glaube ich. Ich kenne den Burschen auch ganz gut«, sagte er, an
die anderen gewandt. »Mein Eindruck von ihm ist: Der Kerl ist
fast zu schlau, um zu uns zu gehören. Wenn einer das Rätsel
lösen kann, dann er.«
Claen sah ihn erstaunt an. So warmen Zuspruch hatte er nicht erwartet.
»Woher kennst du ihn so gut?«
»Ich habe mich oft mit ihm unterhalten. Hier gibt es nicht allzuviel
Leute, mit denen man auch mal über etwas anderes sprechen kann
als bloß über das Rauben und Saufen. Damit will ich keinem
der anwesenden Herren zu nahe treten.«
»Ich bin dafür«, sagte Pelsaert. »Wir haben keine
andere Wahl, und wenn das stimmt, was Claen und Stoeff sagen, dann ist
es sogar eine gute Wahl.«
»Ich kenne ihn auch«, sagte Nicolaus Jarre. »Dafür!«
Der Spanier und der Niederländer stimmten ebenfalls zu. Nur Kunow
schmollte noch, aber als er sah, daß ihn alle anblickten, knurrte
er: »Dafür.« Nach längerem Nachdenken war inzwischen
selbst ihm klar geworden, daß man nur foltern konnte, wen man
gefangen hatte.
Claen forderte die anderen auf, sitzenzubleiben. Er trat vor die Tür
und schickte nach seinem Wundarzt. Der war in der Nähe und traf
ein, als Claen sich gerade wieder an die Stirnseite seines Eichentisches
setzte.
»Valten!« sagte Claen leutselig, »nimm bitte Platz.«
Valten Went grüßte in die Runde und setzte sich dann auf
den freien Stuhl neben dem Niederländer.
»Wir haben Großes mit dir vor«, sagte Claen und erläuterte
ihm in gebotener Kürze, was von ihm erwartet wurde.
Valten Went wußte erst nicht, was er dazu sagen sollte. Daß
die Herren Kapitäne ihn für geeignet hielten, die Untersuchung
eines Doppelmordes zu leiten, schmeichelte ihm, doch zweifelte er daran,
dieser Aufgabe gewachsen zu sein. Er war Arzt, kein Constabler. Er konnte
Wunden untersuchen, konnte sie mit heilenden Salben bestreichen, konnte
Verbände anlegen, konnte Arme oder Beine amputieren und schmerzlindernde
Getränke brauen und verabreichen. Das alles hatte er oft genug
getan, um zu wissen, daß er ein guter Wundarzt war. Aber unter
diesem wilden Haufen herumzulaufen und allen Fragen zu stellen, das
lag ihm nicht. Würden ihm überhaupt die richtigen Fragen einfallen?
Würde er vernünftige Antworten bekommen? Der Täter –
falls es denn nur einer war – würde ihn sicher belügen.
War er in der Lage, eine Lüge zu erkennen?
Lange schwieg er, die Kapitäne wurden schon ungeduldig. Man erwartete
ein Wort von ihm, doch war er noch nicht bereit, es zu sprechen.
Valten Went überlegte. Er fand es nicht richtig, daß Männer
in ihren Betten ermordet wurden. Schon gar nicht der immer lustige Jacobszoon,
den er besser gekannt hatte als den steifen Engländer Bird. Der
Mord mußte aufgeklärt werden. Und wer kam dafür in Frage?
Allmählich wurde ihm klar, daß Claen – von dem der
Vorschlag gekommen sein mußte, das verstand sich von selbst –
die richtige Wahl getroffen hatte. Vielleicht war er unfähig, das
Verbrechen aufzuklären, aber er war vermutlich von allen am geeignetsten
dafür. Und es konnte nie verkehrt sein, neue Erfahrungen zu machen.
Valten Went blickte in die Runde und sagte: »Ich mache es.«
»Gut«, sagte Claen. »Wie willst du anfangen?«
»Nun, einen Augenblick muß ich schon darüber nachdenken«,
sagte Valten überrumpelt. »Das kann ich nicht aus dem Ärmel
schütteln. Also erst einmal muß allen bekanntgegeben werden,
daß ich die Untersuchung führe und sie mir Rede und Antwort
zu stehen haben.«
»Ist uns klar«, sagte Claen. »Das haben wir bereits
beschlossen.«
»Danke. Als nächstes: Das sind nun mal ziemlich rauhe Burschen,
und ich bin kein Kämpfer. Wenn mir jemand eine feuert, falle ich
um. Es könnte schon sein, daß einige etwas gegen meine Fragen
haben werden. Darum hätte ich gern zwei Leute zu meiner Unterstützung.
So eine Art Leibwache. Sie sollen nicht selber ermitteln, nur mich beschützen.«
Heiter sagte Claen: »So besorgt um das eigene Wohl? Aber das ist
kein Problem. Ich gebe dir meine beiden übelsten Schläger.«
»Danke. Als nächstes brauche ich die volle Unterstützung
aller Kapitäne. Wenn ich die Untersuchung führen soll, dann
ohne Ansehen der Person. Auch ihr, die ihr hier im Raum sitzt, müßt
mir alle Fragen beantworten, falls ich welche an euch habe.«
»Denkst du denn, es war einer von uns?« fragte Stoeff beleidigt.
»Im Augenblick denke ich noch gar nichts«, erwiderte Valten.
»Ich habe ja noch gar nicht angefangen mit den Ermittlungen. Ich
bereite mich nur auf alle Möglichkeiten vor, und ich bin sicher,
genau das habt ihr gewollt, als ihr mir den Auftrag gegeben habt.«
»Ja, schon«, sagte Stoeff, »aber einer von uns?«
»Nicht alle, mit denen ich spreche, sind verdächtig«,
beruhigte ihn Valten. »Im Gegenteil, die meisten, ja, fast alle,
sind es nicht. Aber trotzdem muß ich doch mit allen reden. Vielleicht
hat jemand etwas beobachtet, oder er hat eine interessante Vermutung.
Also noch einmal: Ich muß mit allen ohne Ansehen der Person reden
dürfen.«
»Das untergräbt unsere Autorität«, sagte Claen.
»Ich weiß nicht recht, ob das wirklich notwendig ist.«
»Wir sprechen doch sonst auch miteinander, ohne daß eure
Autorität untergraben wird. Und es hebt mein Ansehen bei der Mannschaft,
wenn sie sieht, daß ich auch eure Autorität genieße.
Ich habe die Autorität nicht von Gesetzes wegen oder durch Verdienst,
sondern nur deshalb, weil ihr sie mir verleiht.«
»Stimmt«, sagte zu aller Überraschung der finstere
Kunow. »Mich kannst du fragen. Leider weiß ich nichts über
die Morde, aber ich habe keine Hemmungen, dir das mitzuteilen, und diese
Hemmungen sollte keiner von uns haben. Das wäre ja noch schöner!«
Claen verständigte sich mit den anderen durch Blicke, die meisten
nickten, also sagte er: »Einverstanden. Ohne Ansehen der Person.
Als Ermittler bist du einem Kapitän gleichrangig. Noch etwas?«
»Ja«, sagte Valten Went. »Ich habe meine erste Frage
an die gesamte Runde. Gestern früh gab es eine Besprechung aller
Kapitäne. Das ist ja nichts Seltenes, es gibt Zeiten, da kommt
das jede Woche vor. Üblicherweise wird das Ergebnis der Beratung
im Laufe des Tages bekannt gegeben, und wenn nicht, so ist bisher doch
immer etwas durchgesickert vor der Bekanntgabe. Gestern wurde nichts
bekanntgegeben. Nun kann es natürlich sein, daß das Gerücht
über den Inhalt der Beratung nicht bis zu mir gelangt ist. Falls
es also bekannt ist, worüber beraten wurde, dann würde ich
es gern auch erfahren. Und falls es geheim ist, würde ich es erst
recht gern wissen. Also worum ging es bei der gestrigen Beratung?«
Die Kapitäne sahen sich an. Valten versuchte, die Blicke zu deuten.
Einige schüttelten die Köpfe. Deren Haltung war klar. Claen
hingegen sah indifferent aus, aber er war es, der schließlich
sprach.
»Worum es bei unserer gestrigen Konferenz ging, sollte im Detail
geheim bleiben. Ganz allgemein gesagt haben wir Pläne für
dieses Jahr besprochen. Mehr brauchst du darüber nicht zu wissen.
Ich versichere dir – im Namen aller?« Er blickte in die
Runde. »Ja, im Namen aller kann ich dir versichern, daß
die Besprechung mit den Morden nichts zu tun hat.«
Pelsaert sah ein wenig verwirrt aus; da er am Vortag noch kein Kapitän
gewesen war, ahnte er so wenig wie Valten, worüber gesprochen worden
war. Doch er ließ es auf sich beruhen.
Valten hingegen hakte noch einmal nach. Es war zwecklos, mehr erfuhr
er nicht. Die erste Kraftprobe mit den Kapitänen war zu seinen
Ungunsten ausgegangen. Sie hatten ihm volle Kooperation zugesichert
und schon bei der ersten Frage gekniffen. Das Ermitteln würde schwerer
werden, als er vermutet hatte – und er hatte es sich nicht leicht
vorgestellt.
»Dann war es das erst einmal«, sagte Valten. »Jetzt
muß nur noch bekannt gegeben werden, daß ich die Ermittlung
leite, dann kann ich anfangen. Und, ach ja, ich brauche meine Leibgarde.
Vielleicht Klapmütz und Schotte, würde ich vorschlagen.«
»Eine gute Wahl«, sagte Claen jovial.
Es klopfte an die Tür, und herein trat ein hochgewachsener, sehniger,
klapperdürrer, rothaariger Engländer. Über die linke
Wange zog sich eine große, häßliche Narbe. Seine Kleidung
war einfacher als die der anderen Kapitäne, aber inzwischen war
auch er einer von ihnen, wie er ohne jede Schüchternheit sofort
sagte: »Mein Mannschaft hat mir zum Captain gewahlt. Ich gehore
jetzt zu die Rat.«
Und er setzte sich auf den freien Stuhl am unteren Ende der Tafel, genau
gegenüber von Claen. Der mochte nicht gleich mit einem Streit über
die Etikette beginnen und duldete es unkommentiert. Der Neue würde
schon noch merken, was sich schickte und was hier üblich war.
»Du bist Murdock«, stellte Pelsaert fest.
»Ja, bin ich. Falls mich nicht alle naher kennen: Ich hatte schon
mal Kommando, habe aber gegen Ubermacht meine Schiff verloren und dem
gesamten Mannschaft. Aber ich bin aus spanischer Gefangenschaft gefluchten,
und Bird hat mir genommen auf seine Schiff. Zwar war ich bei ihm nur
eine Matrose wie viele andere, aber ich habe ihn sometimes vertreten,
und ich bin so gute Kampfer, daß mir meine Mannschaft gewahlt
und nicht die Steuermann.«
»Gut, Captain Murdock«, sagte Claen. »Willkommen im
Kapitänsrat. Für die heutigen Beschlüsse bist du allerdings
zu spät gekommen.«
»Ihr werdet mir erzahlen?«
»Werden wir«, sagte Claen.
»Ihr habt lange miteinander beraten über die Nachfolge«,
sagte Valten zu Murdock. »Gibt es unter der Mannschaft Vermutungen,
wer Kapitän Bird ermordet haben könnte?«
»Wir stehen vor eine Ratsel«, sagte Murdock. Dann blickte
er Valten erstaunt an. »Ist er auch eine Captain?« fragte
er. »Ich dachte, er ist Doctor.«
»Ab heute ist er mehr als das«, sagte Claen. »Er wird
in unser aller Auftrag und mit unserer uneingeschränkten Unterstützung
ermitteln, wer die beiden Kapitäne ermordet hat.«
»Eine Doctor?« fragte Murdock.
»Sagen wir so«, antwortete Claen. »Valten Went ist
gebildet und sehr klug. Wir alle hier sind der Überzeugung, für
die vor uns stehende Aufgabe ist er unser bester Mann!«
Die Kapitäne nickten, Valten Went fühlte sich großartig,
und Murdock akzeptierte, was die anderen beschlossen hatten.
Valten stützte den Kopf auf die Hände und dachte nach. Wenn
es auch mit der Unterstützung der Kapitäne nicht weit her
war, so hatte er doch einen erstaunlichen Aufstieg geschafft, und das,
ohne sich darum bemüht zu haben. Unter den Piraten war er, obwohl
er nicht kämpfen konnte, zu jemandem geworden, dem Ansehen zugebilligt
werden mußte. Auf Grund einer Fähigkeit, von der er gemeint
hatte, sie sei unter Piraten wenig gefragt: des Denkvermögens.
Mehr konnte er in dieser Gesellschaft nicht erreichen. Jetzt brauchte
er bloß noch den Mörder zu finden, dann war alles in Ordnung.