Die Figuren in den Kriminalromanen

In den ersten drei Krimis ("Auf offener Straße" 1986, "Das geomantische Orakel" 1987, "Unter der Yacht" 1988 (entstanden, erschienen erst 1991) ermittelte die Ostberliner MUK 2, eine Morduntersuchungskommission der Kriminalpolizei.
Chef war Hauptmann Wolfgang Krüger, ein studentisch wirkender Mann um die Vierzig, der sich zwar über Bürokratie und verklausulierte Gesetzestexte lustig machte, aber durchaus effektiv funktionierte im Räderwerk der Ordnungsmacht. Bis er sich in eine Zeugin verliebte und dadurch nicht mitbekam, daß sie den Täter deckte. In einem Buch, das nie geschrieben wurde, weil die Wende hurtig zur Vereinigung wurde, stellt ihn seine Freundin auf eine noch härtere Probe. Als Bürgerrechtlerin rasselt sie mit der Stasi zusammen, und Krüger hängt sich zu weit aus dem Fenster, weil er den in Berlin besonders harten Kurs gegen die Opposition lautstark bekämpft. Er wird aus der Polizei geworfen und hat, vielleicht zu Unrecht, das Gefühl, von Killern verfolgt zu werden. Da er sich nicht ewig in der winzigen DDR verstecken kann, wagt er Anfang November 1989 den Sprung über die Mauer. Ein paar Tage später fällt die Mauer, doch kehrt er nicht zurück. Gerüchten zufolge soll er jetzt als Warenhausdetektiv in Köln arbeiten.

Falk Iwers spielt in fast allen Büchern mit. Er war Krügers Mitarbeiter, leitete nach Krügers Verschwinden die Mordkommission und wurde zum Hauptmann befördert, nach der Vereinigung also zum Hauptkommissar. Iwers ist drei Jahre jünger als Krüger, zunächst witzig und schlagfertig, in den letzten Jahren zunehmend verbittert. In "Tod in Grau" (entstanden 1990, erschienen 1992) ließ er sich, betört durch die Schönheit eines Mädchens, dazu verleiten, eher privat zu ermitteln; als die Leiche gefunden wurde, mengte er sich dauernd in den Fall. Nun muss ich (der Autor) eine Korrektur zu dem Text anbringen, der hier seit dem Ende der 90er Jahre stand. Ich hatte mein eigenes Buch nicht verstanden, wie mir auffiel, als ich es 2020 noch einmal las. "Tod in Grau" hat zwei Schlüsse. In dem einen löst Iwers den Fall, dessen Motive im privaten Bereich gelegen hatten. In dem anderen glaubt er der eigenen Lösung nicht. Sein Weltbild ist mit dem Staat zusammengebrochen. Er wittert Verschwörungen, traut der Regierung die Vertuschung jedes Verbrechens zu. Der Fall wird aus der Sicht von Iwers erzählt, dennoch bleibt die zweite Lösung, eine nicht komplett aufgedeckte Regierungsverschwörung stecke hinter dem Mord, seinen Alpträumen vorbehalten. Dies ist kein Buch über supergeheime Machenschaften der Stasi und deren mörderische Vertuschung, sondern eines über die Unsicherheiten, die der Zusammenbruch der Gesellschaftsordnung im Kopf eines Vertreters der einstigen Staatsmacht angerichtet hat. Iwers wurde für die Lösung des Falles (an die er zumindest in den Nächten nicht wirklich glaubte) befördert, doch wenig später quittierte er den Dienst aus unbekannten Gründen; vielleicht war er einmal zu oft mit den neuen Chefs, den importierten Ideologen, zusammengerasselt. Er wurde Privatdetektiv und ließ sich am berühmten Kollwitzplatz, Berlin, Prenzlauer Berg, nieder. Seine Vorstellungen von Gesetzestreue änderten sich, seit ein anderes Recht gilt als das, das er studiert hat. So hat er keine Hemmungen, Joseph Kowalski (in "Der blanke Wahn", 1994) zur Zusammenarbeit zu erpressen; es dient ja einer guten Sache. Aus der Erpressung entsteht kein Schaden, wie aus einer Andeutung in "Die Spitze des Kreises" (1998) klar wird: Joseph Kowalski ist inzwischen Mitarbeiter der Detektei von Falk Iwers. Privatdetektiv Iwers rettet den von Geheimdienstkillern verfolgten Martin Parr (in "Der unsichtbare Zweite" und "Das Netz der Schatten", beide 1996) und verschafft ihm eine neue Identität; als ihn allerdings ein Sonderkommando des BND massiv unter Druck setzt, kuscht er und läßt Parr allein zur "Spitze des Kreises" vordringen.

Horst Gahler war Mitarbeiter von Krüger und Iwers. Ein Mann kurz vor seiner Pensionierung, die dann genau zu Wendezeiten auch eintrat. Als Iwers Privatdetektiv wurde, holte er seinen alten Kollegen in seine Detektei, und der dicke Gahler lebte auf. Anders als Iwers hat er die Wende gut verkraftet, und er liebt es, Privatdetektiv zu sein. Bei der Beschattung eines Verdächtigen wird er 1995 in Hamburg ermordet ("Der unsichtbare Zweite").

Schreiner (falls er wirklich so heißt) war Oberstleutnant der Staatssicherheit Nach Auflösung seines "Organs" wurde er Wirtschaftsberater. Er war ein Mann mit Idealen und hat sie nicht verloren, was ihn gelegentlich verbohrt erscheinen läßt. Im Unterschied zu vielen seiner Kollegen ist er nicht käuflich. Und er nutzt jede Chance, es den einstigen Gegnern von Verfassungsschutz und BND heimzuzahlen. Darum steht er sowohl Joseph Kowalski als auch Martin Parr gegen die Undercover-Verfolger bei. Er sorgt dafür, daß Kowalski seinen implantierten Peilsender los wird, und bringt ihn mit Iwers zusammen ("Der blanke Wahn"). Er berät Parr, versorgt ihn mit Informationen und drängt ihm seine Mitarbeit auf, versucht ihm sogar das Leben zu retten, womit er eher Schaden als Nutzen anrichtet. Als der selbsternannte Leibwächter wieder einmal Parr hinterherschleicht, wird er von der Russenmafia erschossen, mit der Parr paktiert ("Die Spitze des Kreises"). Schreiner ist, soweit ich weiß, der erste von einem ehemaligen Bürgerrechtler geschriebene Stasi-Mann, der keine negative Rolle spielt.

Hauptkommissar Stefan Everding hat die Mordkommission von Iwers übernommen. Er stammt aus dem Rheinland und hat noch zahlreiche Verbindungen in diese Gegend, zum Beispiel zum Verfassungsschutz. So läßt er sich darauf ein, bei den üblen Machenschaften mitzuspielen, die ein durchgeknallter Geheimdienstler gegen Kowalski in Szene setzt. Dem britischen Fotografen Roger Penrose hingegen (in "Gefährliches Spiel", 1999) hilft er bei dessen Kampf gegen die berüchtigte "Berlin Connection", wobei der Amateur Penrose allerdings erfolgreicher ist als der Profi. Die beiden werden zu Freunden; Everding ist kein schlechter Mensch. Doch in der Erzählung "Berlin: 6 Uhr morgens" (2000) verhaftet er am Ende den Falschen. In "Die Gier-Community" leistet er solide Arbeit, ist bei der Lösung des Falles aber dann doch etwas langsamer als einer der Verdächtigen.

Martin Parr, ein Mann Mitte Vierzig, hat es geschafft, sich durch die DDR zu mogeln, ohne aufzufallen, obwohl er abseits der Gesellschaft lebte. Nach der Wende versuchte er sich erfolglos als Schriftsteller und hielt sich mit Feuilletonschreiberei über Wasser. Als er in Frankreich von Leuten erkannt wird, die er noch nie gesehen hat, kommen ihm Zweifel an der eigenen Identität, und er beauftragt die Detektei Iwers mit Nachforschungen. Dabei wird Gahler ermordet, Parr trifft seinen Doppelgänger, und seine Freundin stirbt im Kugelhagel von Geheimdienst-Killern ("Der unsichtbare Zweite"). Er versucht sich an Pelzer zu rächen, dem Chef eines BND-Sonderkommandos, der für den Tod seiner Freundin verantwortlich ist, doch wird er böse hereingelegt und entkommt nur mit knapper Not ("Das Netz der Schatten"). Auch sein letzter verzweifelter Versuch, mit Pelzer abzurechnen, sein Pakt mit der Russenmafia, endet in Mord und Totschlag, doch gelingt es ihm schließlich, ein deutsches und ein französisches Sonderkommando gegeneinander zu hetzen, wobei Pelzer dann doch auf der Strecke bleibt. Weil Parr dabei Umsicht bewies und dem BND einen Dienst erwies, wird er zur Mitarbeit verpflichtet und schließlich zum unmittelbaren Nachfolger seines Erzfeindes Pelzer ("Die Spitze des Kreises").

Sophie Jäger, genannt Zofia, ist von Pelzer auf Parr angesetzt worden, doch das weiß er nicht. Zunächst hält er sie für eine russische Agentin. Er verliebt sich in sie - Zofia ist Mitte 30 und sehr attraktiv, außerdem in jeder Situation cool. Sie ist die Frau seiner Träume, auch wenn sie ihn nicht erhört. Als er ihren Verrat entdeckt, ist er am Boden zerstört, doch rettet er ihr das Leben ("Das Netz der Schatten"). Zofia macht den Verrat komplett, indem sie ihrem Chef Pelzer enthüllt, daß Parr nicht der Mann ist, mit dem Pelzer ihn verwechselt. Als ihr klar wird, daß sie damit sein Todesurteil besiegelt hat, versucht sie ihn zu schützen, offenbart sich dem BND-Chef und wird mit dem Schutz von Parr beauftragt. Im verborgenen sorgt sie dafür, daß ihm nichts passiert, und rettet ihm mehrfach das Leben ("Die Spitze des Kreises"). Sie wird Parrs Mitarbeiterin und von ihm beauftragt, den wichtigen Zeugen Roger Penrose zu schützen, was ihr in bewährter Weise gelingt, obwohl Penrose es ihr nicht leicht macht bei seiner Flucht quer durch Europa ("Gefährliches Spiel").

Xaver Isensee ist um die Vierzig, hat die Figur und die Kraft eines Sumo-Ringers und das Gemüt einer Bulldogge. Er nutzt seine Position als Abteilungsleiter im BND dazu aus, sich an illegalen Atommülltransporten zu bereichern, und hat keine Skrupel, die Mitwisser auszuschalten. Als Parr und Zofia ihm und seinen Mittätern eine Falle stellen, kehrt sich die Falle gegen sie. Da sagt Parr etwas, was Xavers Mittäter nicht wissen dürfen, und Isensee erschießt sie und rettet damit ungewollt Parr. Als er jedoch Zofia töten will, schießt Parr ihn nieder ("Das Netz der Schatten"). Isensee überlebt und versorgt Parr im Krankenhaus mit Informationen, weil er dessen Feind Pelzer nicht leiden kann. Die Korruptionsaffäre wird vertuscht, Isensee wird degradiert und schließlich auf Parrs Wunsch in das Sonderkommando aufgenommen, wo er unter Parrs Leitung mit Zofia zusammenarbeitet ("Die Spitze des Kreises). Mit der Degradierung kommt er gut zurecht; er weiß, daß er es Parr zu verdanken hat, daß er so glimpflich davongekommen ist, und erledigt ohne Murren die Aufgaben, die ihm übertragen werden ("Gefährliches Spiel").

Kriminalromane und Thriller spielen meist innerhalb weniger Tage oder Wochen, also in Zeiträumen, wo sich Ereignisse überschlagen, aber Entwicklungen kaum stattfinden können. Unter anderem deshalb kommen viele Krimiautoren immer wieder auf dieselben Figuren zurück. Selbst der schnellste Autor befaßt sich unverhältnismäßig länger mit seinen Figuren als der langsamste Leser. Er gewöhnt sich an seine Geschöpfe, freundet sich mit ihnen an, und wenn er wissen möchte, wie es ihnen geht, schreibt er einfach ein neues Buch. Mich interessiert, wie der Superzivilist Parr beim BND zurandekommt (schlecht, glaube ich) und ob sich Zofia vielleicht doch noch in ihn verliebt (ich würde nicht darauf wetten, aber man kann ja nie wissen). Wenn die Umstände es erlauben, wird also die Parr-Trilogie irgendwann fortgesetzt. Auch die Trilogie "Per Anhalter durch die Galaxis" hat schließlich fünf Bände ...

 

 

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